Interviewserie Dr. med. dent. Huschang Saidi Teil VII
erschienen „Im Graf“ … dem Stadtmagazin für Nettetal
Sehr geehrter Herr Dr. Saidi, wie präsent sind denn im Alltag tatsächlich diese Probleme?
Dr. Saidi: Oben genannte Beschwerden rechnet man dem Begriff „Craniomandibuläre Dysfunktion“, kurz „CMD“, zu. Und tatsächlich betrifft diese Erkrankungsform bis zu 20% der Bevölkerung. Viele wissen gar nichts von ihren Beschwerden und kommen erst, wenn sie Schmerzen haben oder die Zähne so abgenutzt sind, dass die Ästhetik beeinträchtigt ist. Und nicht selten ist es so, dass CMD Probleme in einem Teil des Körpers verursacht, den man nicht unbedingt in Zusammenhang mit dem Kiefergelenk bringt.
Bitte nennen Sie uns doch mal ein Beispiel!
Dr. Saidi: Das Kiefergelenk ist entwicklungsgeschichtlich der letzte Teil der Wirbelsäule und eine wichtige Schnittstelle von Skelett, Nerven, Muskeln und Gefäßen – und das auf engstem Raum im hochsensiblen Kopfbereich. Liegt hier eine Fehlstellung vor, so hat sie Auswirkungen auf die Statik unserer Wirbelsäule und deren angegliederte Gelenke wie Hüfte und Schulter. Ein Beckenschiefstand, Beinlängenverkürzungen und oder verschiedene krankhafte Veränderungen der Wirbelsäule können nicht nur durch eine CMD mitverursacht werden – das Ganze funktioniert auch andersherum: Z.B. kann eine Fehlstellung der Wirbelsäule auch die Statik im Kiefergelenksbereich stören mit der Folge von Verspannungen in der Kaumuskulatur, ungleichmäßiger Abnutzung der Zähne, Nacken- und Rückenschmerzen u.a..
Warum presst und oder knirscht man denn eigentlich mit den Zähnen?
Dr. Saidi: Tatsächlich wissen wir sicher nur, dass diese Problematik zugenommen hat. Immer mehr Menschen scheinen ihre Zähne nicht nur zum Essen zu verwenden, sondern auch um möglicherweise innere Anspannungen abzuarbeiten. Stress scheint ein nicht unerheblicher Auslöser und Grund für Bruxismus (Zähne aufeinanderpressen und – knirschen) zu sein.
Jetzt interessiert uns natürlich brennend, wie man diese Erkrankung feststellen kann!
Dr. Saidi: Bei jeder Eingangsuntersuchung werden unsere Patient*innen auf Symptome einer CMD untersucht. Dazu gehört ein Funktionstest der Kiefermuskulatur, das Abhorchen von Kiefergelenksgeräuschen und das Untersuchen von Abnutzungserscheinungen und – mustern auf den Zähnen. Manchmal klagen aber auch Patient*innen selbst über Beschwerden in diesem Bereich oder der Partner hat auf nächtliche Knirschgeräusche hingewiesen.
Und welche Behandlungen gibt es hier?
Dr. Saidi: Um die Patient*innen erfolgreich zu behandeln, ist es unumgänglich, andere Therapeut*innen mit ins Boot zu nehmen. Die von uns individuell angepasste Schiene ist sicher eine wertvolle Maßnahme – ist aber deutlich wirksamer, wenn ein/e spezialisierte/r Physiotherapeut*in mitarbeitet. Außerdem ist es sinnvoll, dass die Patient*innen lernen, mit dem Stress in ihrem Leben besser umzugehen. Hier kann z.B. Yoga, Meditation, MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) eine wertvolle Ergänzung sein.